Ich kenne das. Meine beiden Großen, die Mausi (12) und der Große (14) reagieren bei manchen Anfragen, als wäre man ihnen schon stundenlang auf die Nerven gegangen. Der ganz normale Wahnsinn der Pubertät, meint zumindest Ralph Dawirs, Professor für Neurobiologie und Leiter der Forschung der Kinder- und Jugendabteilung für Psychische Gesundheit in diesem Artikel.
Erwachsene hören nicht gern, dass nicht die Teenager das Problem sind, sondern deren Eltern, denen es schwerfällt, mit dem rotzfrechen, leicht reizbaren und streitlustigen Nachwuchs umzugehen. Ein Wort zum Trost: Die rotzige Art leben Teenager meist nur zu Hause aus. Fragen Eltern Freunde und Bekannte, erfahren sie meist, dass die Heranwachsenden sich außerhalb der eigenen vier Wände zuckersüß und höflich zeigen.
Das stimmt. Es fällt mir schwer, es zu akzeptieren, wenn ich von meinen Kindern angebrüllt werde. Besonders dann, wenn ich nicht brülle. Da helfen mir die Erklärungen - die, nebenbei gesagt, ja durchaus plausibel klingen - auch nicht. Vielleicht habe ich ja wirklich das im Artikel angeführte Problem des Nicht-Loslassen-Könnens.
Mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter orientieren sich Teenager neu und suchen die emotionale Befreiung. Sie stellen ihre Eltern infrage und kritisieren sich auch schon mal lautstark. Doch diese Phase dauert nicht lange. „Mit 16 oder 17 werden die ‚Alten‘ wieder abgestaubt und aus der Mottenkiste geholt“, sagt Dawirs. In diesem Alter will der Nachwuchs wieder Teil des familiären Netzwerkes sein.
Das macht zwar wieder Hoffnung. Aber ich bin doch eher davon überzeugt, dass ein vernünftiger Umgang miteinander auch von einem pubertierenden Kind erwartet werden kann. Man kann zwar den 16ten Geburtstag herbeisehnen, um dann festzustellen, daß sich nichts geändert hat. "Na gut, dann klappt's vielleicht beim 17ten" klingt für mich aber zu sehr nach Resignation, als nach Verständnis.
„Lügen können auch als Kompliment aufgefasst werden“, sagt Dawirs. Erzählt die 13-Jährige ihrer Mutter, dass die S-Bahn ausgefallen sei und sie deshalb zwei Stunden zu spät von der Schule nach Hause kommt, dann tut sie das nicht um die Mutter zu verletzen. [...] „Lügen gehört zur sozialen Kompetenz, die geübt werden muss“, so Dawirs.
Das ist jetzt aber ein Hammer. Natürlich ist es nicht die primäre Absicht, die Eltern anzulügen. Daher klingt es vernünftig, in einer Umsturzphase seines Kindes nochmal eine Schippe Verständnis draufzulegen, und die Großbaustelle im Gehirn zu akzeptieren. Trotzdem finde ich es doch etwas zu weit hergeholt, wenn ich das auch noch als Kompliment auffassen soll.

Aus Elternsicht ist die Pubertät sowas wie Trotzphase 2.0. Und schon in der Trotzphase 1.0 war es keine gute Idee, dass man sich auf der Nase herumtanzen läßt.

sturmfrau, Mittwoch, 25. Januar 2012, 09:47
Ich gehe mit dem in dem Artikel zitierten Experten auch nicht konform. Hinnehmen, dass man als Eltern angebrüllt wird, muss man nicht. Hinnehmen bedeutete in der Tat, dass man sich auf der Nase herumtanzen ließe, und ich glaube, das wäre ein Fehler. Klar, man muss sich darauf einrichten, dass es passiert - es ist unvermeidlich. Dennoch finde ich, Eltern haben ein Recht darauf, zu reagieren und zu sagen: "So nicht, nicht mit mir!"

Wenn Jugendliche in der Pubertät ihren Platz in der Welt suchen (woran ich nicht zweifle), dann geht es auch darum, Grenzen zu erfahren. Denn auch, wenn das die Jugendlichen selbst vehement abstreiten würden, haben sie die Sicherheit nötig, die elterliche Grenzen bieten. Natürlich wird sich an den gesetzten Grenzen aufgerieben, und dabei fließen vielleicht Tränen, vielleicht wird gebrüllt und gestritten. Aber wegen dieser Komplikationen auf das Aufreiben zu verzichten und zu sagen "Ach, Du machst ja eh, was Du willst!", das wäre glaube ich der größte Fehler überhaupt, den man machen könnte. Wenn die Kids nichts haben, woran sie sich abarbeiten können, treiben sie orientierungslos im Raum. Daher finde ich es wichtig und richtig, wenn die Eltern auch weiterhin die Konstante bieten, auch auf die Gefahr hin, als spießig, nervig und überflüssig tituliert zu werden. Ist ein Kraftakt, aber ich glaube, das ist man den Kindern schuldig. Gerade das.

tomkin, Mittwoch, 25. Januar 2012, 21:23
"Ach, Du machst ja eh, was Du willst!" Nun ja, an diesen Punkt stößt jeder einmal. Es ist tatsächlich ein immenser Kraftakt, ein Reibstein zu sein. Deshalb gibt der auch manchmal nach.

Aber trotzdem stimme ich Ihnen zu. Nach meiner Auffassung ist das Erlernen vernünftiger Konfliktbewältigung mit den Eltern weitaus wichtiger, als zu lernen, wie man am besten lügt. Ich merke das am intensivsten, wenn ich mit dem Großen über seine Computerzeiten diskutiere. Auch wenn ich diesbezüglich nicht ganz so streng bin wie die Mama :-), so merke ich doch, dass es wichtig ist, einen klaren Standpunkt zu beziehen. Was einmal ausgemacht ist, ist erstmal ausgemacht. Wenn man das nicht einhält, gibt es Ärger. Das ist überall so, nicht nur zwischen Eltern und Kindern. Das soll nicht heißen, dass man nicht diskutieren und etwas Neues ausmachen kann. Aber trotzdem sollte das Kind wissen, dass es die einmal festgelegten Regeln und Absprachen nicht ohne erneute Diskussion außer Kraft setzen kann.

wilson.3d, Mittwoch, 25. Januar 2012, 12:00
Es könnte hilfreich sein, sich an die eigene Pubertät zu erinnern, als wir diejenigen waren, die versuchten, Grenzen auszuloten.
Zur These, Lügen dürften als Kompliment ausgefasst werden, stellt sich die Frage, wie von ihren Eltern belogene Pubertierende deren Lügen bewerten würden.

Pubertät ist meiner Ansicht nach für die Eltern eine berechenbare Phase – man weiß, dass sie kommen wird. Und was noch viel angenehmer ist: man weiß, dass sie endlich ist.
Gut anschnallen, es kann ein unruhiger Flug werden, aber spätestens, wenn zur Landung angesetzt wird, erkennt man, dass weniger Orangensaft verschüttet wurde als befürchtet.

tomkin, Mittwoch, 25. Januar 2012, 22:14
Ja richtig, Grenzen ausloten ist genau das richtige Stichwort. Es ist eben wie in der Trotzphase eines Kleinkindes ein ständiges Austesten der Reaktionen der Eltern. Umso wichtiger ist es, dass man als Eltern eben - wie in der Trotzphase auch - reagiert, und nicht den Kindern die Freiheit läßt, alles zu tun, was sie wollen.

Es ist ein unruhiger Flug. Aber ich kann von Glück reden, dass meine beiden Großen zumindest noch gesprächsbereit sind. Dieses Minimum an Kommunikationsbereitschaft ist aber essentiell, um auftretende Konflikte auch gemeinsam zu lösen.
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